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Neuregelung der Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland nach dem Brexit

Am 23. Juni 2016 stimmten die Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland im Rahmen eines Referendums für den Austritt aus der EU, den sogenannten Brexit. Nach langen und teilweise sehr schwierigen Verhandlungen trat Großbritannien in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 2020 auf Basis eines Austrittsabkommens und einer politischen Erklärung zur zukünftigen Zusammenarbeit nach 47 Jahren aus der Europäischen Union aus.

Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU wurde das zukünftige Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien umfassend in einem Handels- und Kooperationsabkommen gestaltet, dem beide Seiten am 24.12.2020 zugestimmt haben. Der 1.246 Seiten umfassende Partnerschaftsvertrag ist das bislang umfassendste Abkommen, das die EU je mit einem Drittstaat abgeschlossen hat.

Das Abkommen trat am 1. Januar 2021 zunächst vorläufig in Kraft, nachdem alle 27 Mitgliedstaaten der EU ihre Zustimmung zum Abkommen und dessen vorläufiger Anwendung erteilt hatten. Endgültig in Kraft getreten ist das Abkommen am 1. Mai 2021.

Das Abkommen entspricht modernen handelspolitischen Standards und geht weit über die Regelungen eines Freihandelsabkommens hinaus. Beide Seiten einigten sich auch auf hohe Maßgaben in den Bereichen Arbeit und Soziales, Umweltschutz, Bekämpfung des Klimawandels, Steuertransparenz und fairer Wettbewerb.

Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien

Das Abkommen gliedert sich in folgende sieben Teilbereiche:

  • Teil 1:  Gemeinsame und institutionelle Bestimmungen
  • Teil 2:  Handel, Verkehr, Fischerei und sonstige Regelungen
  • Teil 3:  Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung und Justiz hinsichtlich Strafsachen
  • Teil 4:  Thematische Zusammenarbeit (Gesundheitsschutz, Cybersicherheit)
  • Teil 5:  Teilnahme an Programmen der Union, Grundsätze der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und Finanzbestimmungen
  • Teil 6:  Streitbeilegung und horizontale Bestimmungen
  • Teil 7:  Schlussbestimmungen

Ergänzt wird das Abkommen durch Beschlüsse und politische Erklärungen (Veröffentlichung im Amtsblatt der EU). Das Zusatzabkommen L444/1463 regelt den Umgang mit Verschlusssachen und Geheimschutzmaßnahmen. Die gemeinsame Erklärung L444/1475 trifft Bestimmungen zur Regulierung von Subventionen und Finanzdienstleistungen, zur justiziellen Zusammenarbeit und zu Forschungsprogrammen.

Der Europäische Rat stimmte mit Beschluss L444/2 der vorläufigen Anwendung des Kooperationsabkommens bzw. der weiteren Teilnahme Großbritanniens an der EURATOM-Zusammenarbeit (friedliche Nutzung der Kernenergie) zu und legte mit Beschluss L444/11 eventuelle Ausgleichsmaßnahmen bei Nichteinhaltung fest.

Den stimmigen Übergang zur Anwendung des Abkommens sicherte die Kommission mit der Mitteilung L444/1486 rechtlich ab. Diese zählt zu sendende Mitteilungen sowie Fristen und Bestimmungen auf, deren Einhaltung notwendig ist, um die späte Unterzeichnung des Abkommens abzufedern.

Freier Personenverkehr/Aufenthaltsrecht

EU-Staatsangehörige, die in Großbritannien dauerhaft arbeiten und leben wollen, müssen ein Visum beantragen. Umgekehrt gilt dies für britische Staatsangehörige in der EU. Aufenthalte bis 90 Tage sind weiterhin ohne Visum möglich.

Auf Grundlage des Austrittsabkommens (Hintergründe s. Anlage „Genese des Brexit“) werden die Rechte der EU-Staatsangehörigen, die bis zum 31. Dezember 2020 schon in Großbritannien wohnten, und umgekehrt auf Lebenszeit umfassend geschützt. Sie können weiterhin in Großbritannien bzw. der EU leben, arbeiten, studieren und genießen soziale Sicherheit. Die sich aus diesen Rechten ergebenden Regelungsaufträge wurden bereits durch nationale Gesetzgebung und Maßnahmen umgesetzt.

Handel

Warenverkehr/Nachweispflichten:

Seit dem 1. Januar 2021 ist Großbritannien nicht mehr Teil des EU-Binnenmarktes und der EU-Zollunion. Mit Abschluss des Partnerschaftsabkommens bleibt der Handel von Waren jedoch grundsätzlich zollfrei. Es gibt auch keine Begrenzung der Einfuhr bestimmter Produkte durch Quoten. Britische Exporteure in die EU müssen jedoch seit Beginn des Jahres 2021 aufwendig nachweisen, dass ihre Produkte überwiegend in Großbritannien hergestellt wurden. Um den Verwaltungsaufwand gering zu halten, erlaubt das Abkommen den Händlern, den Ursprung der Waren selbst zu bescheinigen. Über den Ursprungsnachweis hinaus gibt es zollrechtliche, gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Kontrollen. Britische Händler müssen  Nachweise über die Einhaltung von EU-Regeln zur Lebensmittelsicherheit und zur Einhaltung von Produktstandards erbringen.

Dienstleistungsverkehr

Britische Dienstleister müssen sich an die jeweiligen Gesetze und Regeln der einzelnen Mitgliedsstaaten halten oder ihren Sitz in die EU verlegen, falls sie ihre Geschäfte wie vor dem Brexit fortführen wollen.

Nordirland-Protokoll

Mit der im Austrittsabkommen verankerten speziellen Regelung zu Nordirland bleibt die Integrität des EU-Binnenmarktes gewahrt. Gleichzeitig ist sichergestellt, dass es keine Kontrollen an der Grenze zwischen Irland und Nordirland gibt und das Karfreitags-Abkommen weiterhin vollumfänglich greift. Die Regelung sieht vor, dass Nordirland Teil des britischen Zollgebiets bleibt, aber alle relevanten Binnenmarktregeln der EU in Nordirland Anwendung finden sowie der EU-Zollkodex angewandt wird. Dazu notwendige Kontrollen und Zollerhebungen finden an den Eingangspunkten der irischen Insel in Nordirland statt.

Mobilität/Transport

Straße

Der grenzüberschreitende Gelegenheits- und Linienverkehr für Personen ist weiterhin gewährleistet. Ebenso dürfen Güterkraftverkehrsunternehmen aus EU und Großbritannien weiterhin Beförderungen zwischen den beiden Rechtsräumen durchführen.

Luft

Die EU und Großbritannien gewähren den Luftfahrtunternehmen umfassende Verkehrsrechte, insbesondere das Überfliegen des jeweiligen Gebietes, die Landung zu nichtgewerblichen Zwecken und das Recht, Passagiere und Fracht aufzunehmen und abzusetzen (sog. 3. und 4. Freiheit). Das Recht zur Weiterbeförderung (sog. 5. Freiheit; Frachtflüge aus der EU mit Zwischenstopp in Großbritannien und Endziel Drittland bzw. umgekehrt) kann bilateral zwischen EU-Mitgliedsstaaten und dem Vereinigten Königreich ausgehandelt werden.

Schiene

Das Abkommen enthält keine Bestimmungen zum Schienentransport.

Öffentliche Beschaffung

Ziel des Abkommens ist es, Unternehmen die Teilnahme bzw. den Zugang zu Verfahren der öffentlichen Beschaffung zu ermöglichen und die Transparenz von Verfahren der öffentlichen Beschaffung zu verbessern.

Sozial- und Umweltstandards/Faire Wettbewerbsbedingungen

Großbritannien ist nicht verpflichtet, automatisch neue Sozial- oder Umweltstandards der EU zu übernehmen. Sollte es sich aber durch niedrigere Standards einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, sind Gegenmaßnahmen der EU möglich.

Anerkennung von Berufsqualifikationen

Eine automatische Anerkennung von Berufsqualifikationen erfolgt mit Austritt Großbritanniens aus der EU nicht mehr. Die Berufsverbände oder Behörden, die für den betreffenden Tätigkeitsbereich in ihrem jeweiligen Gebiet relevant sind, können gemeinsame Empfehlungen zur Anerkennung von Berufsqualifikationen ausarbeiten und dem Partnerschaftsrat vorlegen.

Forschung und Entwicklung

Im Rahmen des Abkommens beteiligt sich Großbritannien an den EU-Programmen Horizon Europe, Euratom Research and Training Programme, ITER (Einrichtungen zur Fusionsenergie), Copernicus (Erdbeobachtungssystem) sowie EU-Satellitenüberwachung und -rückverfolgung. Aus dem Programm Erasmus sind die Briten jedoch ausgeschieden.

Energie

Handel und Investitionen zwischen EU und Großbritannien in den Bereichen Energie und Rohstoffe sollen durch das Abkommen erleichtert und die Versorgungssicherheit sowie die ökologische Nachhaltigkeit gefördert werden.

Fischerei

Die EU und Großbritannien haben sich auf einen neuen Rahmen für die gemeinsame Bewirtschaftung der Fischbestände in ihren Gewässern geeinigt. Die Fangrechte für EU-Fischer werden um 25 Prozent über fünfeinhalb Jahre gekürzt. Ab Juni 2026 soll jährlich über Fangquoten verhandelt werden.

Governance

Es wurde ein gemeinsamer Partnerschaftsrat etabliert, der die Auslegung und Anwendung des Abkommens kontrolliert. Durchsetzungs- und Streitbeilegungsmechanismen sollen den Schutz der Rechte von Unternehmen und Personen gewährleisten.

Genese des Brexit

Am 23. Juni 2016 wurde in Großbritannien in einer Volksabstimmung mit 51,9 % der abgegebenen Stimmen die Entscheidung für einen Austritt aus der EU getroffen. Die offizielle Erklärung der Briten über den Austritt erfolgte am 29. März 2017. Erst mit diesem Datum konnten die Austrittsverhandlungen beginnen.

Der Schaffung eines eigenen Brexit-Ministeriums auf britischer Seite begegnete man auf EU-Seite mit der Einrichtung einer Task Force zur Vorbereitung und Durchführung der Verhandlungen unter der Leitung von Michel Barnier. Es wurde beschlossen, zuerst die Trennungsmodalitäten durch ein Austrittsabkommen und im Anschluss die künftigen Beziehungen im Rahmen eines Statusabkommens zu klären. Als Austrittstermin wurde der 29. März 2019 festgelegt.

Mehrere Wahlen sowie Regierungs- und Personalwechsel in Großbritannien führten dazu, dass vier Verhandlungsrunden nötig waren und sich der Übergang zur zweiten Phase der Verhandlungen deutlich verzögerte - bis diese 2017 dann eröffnet werden konnte. Im März 2018 wurde nach vielen Verhandlungsrunden eine politische Einigung über ein Austrittsabkommen erzielt, einschließlich einer Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020.

Kern der Verhandlungen war bis dahin die sogenannte „Nordirlandfrage“. In diesem Kontext hatte die britische Seite schließlich der sogenannten „Backstop-Lösung“ zugestimmt, die die zukünftige Grenze des EU-Binnenmarktes in die nordirische See verlegte, wodurch eine harte Grenze in Irland vermieden werden konnte. Die folgenden Verhandlungen standen im Zeichen der vier Freiheiten des Binnenmarktes (freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital), welche für die EU im Sinne von Integrität und ordnungsgemäßem Funktionieren des Binnenmarktes gewährleistet bleiben mussten.

Im November 2018 schließlich wurden das Austrittsabkommen zwischen der EU und Großbritannien sowie die Politische Erklärung über den Rahmen für die zukünftigen Beziehungen vom Europäischen Rat ratifiziert. Nach dem Austritt aus der EU sollten die Verhandlungen über die Partnerschaft zur Regelung der zukünftigen Beziehungen auf Grundlage der Politischen Erklärung erfolgen. Da das britische Unterhaus den Brexit-Vertrag zweimal ablehnte, beantragte die damalige britische Premierministerin Theresa May am 20. März 2019 einen Aufschub des Brexit bis zum 30. Juni 2019.

Im weiteren Verlauf wurde das Austrittsdatum mehrfach erneut verschoben, bis das Großbritannien unter dem neuen Premierminister Boris Johnson und nach Zustimmung des britischen Parlaments am 31. Januar 2020 auf Basis eines gemeinsam vereinbarten Austrittsabkommens und einer politischen Erklärung über den Rahmen der zukünftigen Zusammenarbeit aus der EU austrat.

Damit begann eine Übergangsphase, die laut o. g. Abkommen durch gemeinsame Entscheidung der EU und Großbritanniens einmalig um maximal zwei Jahre verlängerbar war. Dank dieser Übergangsphase wurde der Status quo der beiderseitigen Beziehungen bis zum 31. Dezember 2020 beibehalten. Die Option zur Verlängerung des Übergangsprozesses wurde seitens der britischen Regierung abgelehnt.

Schwerwiegende Differenzen konnten lange Zeit nicht ausgeräumt werden. Zügige Verhandlungen wurden zudem durch die Corona-Pandemie erschwert. Die Verhandlungen dauerten bis zum 24. Dezember 2020 an.

Weiterführende Informationen

Die EU-Kommission bietet detaillierte Informationen zu den Bestimmungen des Abkommens.

Eine Einschätzung der wirtschaftlichen Folgen des Brexit bietet folgende Studie des ifo-Instituts in Kooperation mit dem Institut für Weltwirtschaft.

 
  • Serviceinformationen

    Europaflaggen wehen im Wind.
    © Unsplash

    Informationen für Privatpersonen und Unternehmen in Bezug auf den Brexit

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